Auf einen Blick
Erkrankung
Den betroffenen Mädchen und Frauen fehlt eins von zwei weiblichen Geschlechtschromosomen (X-Chromosomen) oder es ist stark verändert.
Anzeichen
Verschiedene Krankheitszeichen können auftreten: Kleinwuchs, häufige Mittelohr-Entzündungen, Herzfehler, leicht rissige Gefäße, ausbleibende Pubertät, Nierenprobleme, Unfruchtbarkeit.
Behandlung
Mögliche Behandlungen sind: Ersatz-Hormone, Medikamente, Operationen, Frühförderung, Ergotherapie und seelische Betreuung.
Die Erkrankung
Das Ullrich-Turner-Syndrom betrifft etwa 1 von 2 500 neugeborenen Mädchen. In Deutschland leben ungefähr 16000 betroffene Mädchen und Frauen.
Es ist keine Erbkrankheit. Bei den Betroffenen – nicht bei den Eltern – haben sich die Erbanlagen zufällig verändert. Man weiß bisher nicht, warum das so ist.
Normalerweise haben Mädchen und Frauen zwei X-Chromosomen. Beim Turner-Syndrom ist das anders. Hier findet sich ungefähr bei jeder Zweiten nur ein weibliches Geschlechtschromosom in den Körperzellen. Fachleute sprechen daher von einer Monosomie X. Bei den anderen ist zwar ein zweites X-Chromosom vorhanden, aber stark verändert. Das Turner-Syndrom lässt sich nicht heilen. Bei guter medizinischer Betreuung können die meisten Betroffenen aber ein selbstständiges und erfülltes Leben führen.
Anzeichen und Beschwerden
Es sind viele verschiedene Anzeichen bekannt, von denen meist nur einige auftreten. Manche Anzeichen sind bereits bei der Geburt offensichtlich, etwa geschwollene Hand- und Fußrücken. Andere erscheinen erst im Verlauf der Kindheit. Fast immer wachsen betroffene Mädchen langsamer als gleichaltrige. Im Mittel sind sie als Erwachsene 20 Zentimeter kleiner als üblich. Wie die Krankheit bei Ihrem Kind verlaufen wird, lässt sich nicht vorhersagen. Die Krankheitszeichen sind unterschiedlich ausgeprägt. Häufig sind:
äußerliche Merkmale: geringe Körpergröße, kurzer und breiter Hals, seitliche Halsfalten, hängende Augenlider, breiter Brustkorb, kurze Finger, veränderte Finger- und Fußnägel, Fehlstellungen der Zähne, Übergewicht, bräunliche Hautflecken
geistige Entwicklung: Rechenschwäche, abstraktes Denken fällt schwer, Probleme beim Konzentrieren, Unruhe, Lernschwierigkeiten. Die meisten Betroffenen haben eine normale Intelligenz.
Ohren: Mittelohr-Entzündungen, Schwerhörigkeit
Augen: Schielen, Fehlsichtigkeit, weiter Abstand
Herz und Gefäße: verengte Hauptschlagader (Aorta), hoher Blutdruck, leicht rissige Gefäße, Herzklappenfehler
Knochen: verkrümmte Wirbelsäule, Knochenschwund (Osteoporose)
Nieren: veränderte Form und Funktion
Geschlechtsorgane: die Eierstöcke sind unterentwickelt, ohne Behandlung bleibt die Pubertät aus, trotz Behandlung bleiben die meisten unfruchtbar oder haben häufige Fehlgeburten. Scheide, Klitoris und Gebärmutter sind normal.
Vor allem Erkrankungen der Aorta, Herzfehler und häufige Begleit-Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Fettleibigkeit können die Lebenserwartung einschränken.
Behandlungen
Je früher das Turner-Syndrom erkannt wird, desto besser lassen sich Beschwerden behandeln und Krankheitsfolgen vermeiden. Ein fachärztliches Team sollte Ihre Tochter regelmäßig und dauerhaft betreuen. Dazu gehören Personen verschiedener Fachgebiete: Kinder-und Jugendmedizin und Innere Medizin (jeweils mit den Schwerpunkten: Hormone, Herz, Nieren), Psychologie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Augenheilkunde, Orthopädie und später noch Frauenheilkunde. Wichtig ist, dass ein Arzt oder eine Ärztin den Überblick behält und alle Überweisungen und Kontroll-Termine steuert. Er oder sie sollte genau über alle Untersuchungen und Behandlungen Bescheid wissen.
Wachstumshormon
Studien belegen: Künstlich hergestelltes Wachstumshormon kann dazu führen, dass Mädchen größer werden – um 5 bis 8 Zentimeter mehr. Man spritzt das Hormon jeden Tag. Die Behandlung beginnt oft in einem Alter von 4 bis 6 Jahren. Werden die Hormon-Werte im Blut regelmäßig kontrolliert, treten nur selten Nebenwirkungen auf.
Weibliche Geschlechtshormone
Setzt die Pubertät nicht von selbst ein, empfehlen Fachleute ab einem Alter von 11 bis 12 Jahren die Gabe von weiblichen Geschlechtshormonen. Man beginnt mit geringen Mengen und steigert diese etwa alle 6 Monate. Das Ärzteteam untersucht regelmäßig die Hormonwerte im Blut. Ziel ist, einen möglichst natürlichen Verlauf der Pubertät nachzuahmen. Es bilden sich Brüste und die Regelblutung setzt mit der Zeit ein. Die Hormone sind auch für die Knochen und die Gefäße wichtig. Daher bekommen Frauen mit Turner-Syndrom diese Hormone, bis sie normalerweise in die Wechseljahre kommen. Es gibt sie als Hormonpflaster und als Tabletten.
Medikamente und Operationen
Sind bei Ihrer Tochter Herz und Gefäße betroffen, so kommen bestimmte Blutdruck senkende Medikamente in Frage, etwa Beta-Blocker oder Sartane (Angiotensin-Rezeptor-Blocker). Herzfehler und veränderte Gefäße kann man oft erfolgreich operieren. Auch andere Beschwerden wie Mittelohr-Entzündungen oder Osteoporose lassen sich mit Medikamenten behandeln.
Weitere intensive Betreuung
Fachleute beurteilen regelmäßig, wie gut sich Ihre Tochter körperlich und geistig entwickelt. Die weitere Behandlung richtet sich nach ihren Bedürfnissen. Zum Beispiel kommen unterstützend Ergotherapie, Physiotherapie, Ernährungsberatung, Hörhilfen, Logopädie, Förderangebote bei Lernproblemen oder psychotherapeutische Behandlungen zum Einsatz.
Was Sie selbst tun können
Es ist empfehlenswert, ein Kompetenz-Zentrum oder eine Turner-Sprechstunde aufzusuchen, etwa in einer Uni-Klinik. Dort arbeiten erfahrene Fachleute.
Gehen Sie mit Ihrer Tochter regelmäßig zu den Kontroll-Untersuchungen. So kann man behandelbare Veränderungen rechtzeitig erkennen.
Körperliche Bewegung und Sport tun gut und sind wichtig für Herz und Gefäße, aber auch für Knochen, Gewicht und gutes Wohlbefinden.
Bei veränderten Blutgefäßen sollten Betroffene körperliche Belastungen, wie schweres Heben, Kraftsport oder Kontaktsport, vermeiden.
Ein unerfüllter Kinderwunsch kann seelisch belasten. Es gibt heutzutage Möglichkeiten, trotz Turner-Syndrom schwanger zu werden. Auch eine Adoption kann eine Lösung sein.
Selbsthilfe-Organisationen können Betroffene und ihre Familien unterstützen. Dort kann man Erfahrungen austauschen, zum Beispiel bei Gruppentreffen.
März 2021, herausgegeben von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung