Polit-Drama in Pennsylvania (2024)

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Die Pressekonferenz beginnt wie so viele: Ein Kommunalpolitiker stellt sich hinter einen Bund Mikrofone und verliest eine langatmige Erklärung. Doch schon der Anlass ist alles andere als alltäglich - es geht um Bestechung und Kungelei, Amtsmissbrauch und einen Schuldspruch vor Gericht, den der Politiker zurückweist. "Mein Leben hat sich jetzt ohne ersichtlichen Grund verändert", klagt er. Er fühle sich wie ein "moderner Hiob".

Der Politiker ist rundlich, er hat eine Halbglatze und ein Doppelkinn und trägt einen schwarzen Anzug mit schräggestreifter Krawatte. Er redet und redet. Er schwitzt heftig. Hinter ihm auf einem Brokatvorhang prangt das Stadtwappen von Harrisburg, der Hauptstadt Pennsylvanias. Einige TV-Teams packen schon wieder ein.

Dann passiert das Unglaubliche - in Sekunden, die den Augenzeugen später wie Ewigkeiten vorkommen werden. Aus einem Briefumschlag fördert der Politiker sorgfältig einen langen, altmodischen Revolver zutage, eine 357. Magnum Smith & Wesson. Er warnt höflich: "Bitte verlassen Sie den Raum, falls Sie das kränken sollte." Er gestikuliert, um die panischen Reporter fernzuhalten: "Nicht, nicht, das wird jemanden verletzen!" Dann steckt er sich die Mündung in den Mund und drückt ab.

22. Januar 1987: Der öffentliche, live im US-Fernsehen übertragene Selbstmord von Budd Dwyer, Finanzchef von Pennsylvania, schockierte die Nation. Sein atemberaubender Sturz vom populären Politiker zum tragischen Helden schrieb Justiz- und Fernsehgeschichte.

Gefangen in einem Netz aus Korruption

Bis heute geistern die körnigen Videos des Vorfalls durchs Internet, makabre Mementos einer Verzweiflungstat, deren Ursprung längst vergessen ist. Denn ein Vierteljahrhundert später weiß kaum einer mehr, wer Budd Dwyer war, welches Drama sich hinter diesen grausigen 81 Sekunden von Harrisburg verbirgt. Die meisten Kommentare auf YouTube sind ignorant und eiskalt. "Wie kann man nur so dämlich sein", schreibt einer.

Dabei ist der Fall Budd Dwyer viel mehr als nur einer dieser Sensationsskandale, die nach der üblichen Verfallsfrist im Archiv verschwinden. Auch wenn viele Hintergründe weiter diffus bleiben: Inzwischen steht so gut wie fest, dass Dwyer der einzige Unschuldige in diesem Drama war, gefangen in einem Netz aus korrupten Politikern, befangenen Richtern und einer gnadenlosen Presse. Ein Netz, aus dem er am Ende nur noch einen Ausweg sah.

Alles hatte ganz banal begonnen - mit einem Buchhaltungsfehler. 1979 beschloss der US-Kongress Steuererhöhungen für Staatsdiener, die erst drei Jahre später in Kraft treten sollten, in Pennsylvania aber aus Versehen schon sofort berechnet wurden. Es ging um insgesamt rund 40 Millionen Dollar. Um einen ordentlichen Weg zu finden, diese an die Betroffenen zurückzuzahlen, heuerte Pennsylvania eine Steuerprüfungsfirma an.

Ein lukrativer Auftrag - und ein umtriebiger Firmenchef

Den lukrativen Auftrag riss sich das Unternehmen Computer Technology Associates (CTA) unter den Nagel. Dessen Besitzer John Torquato überließ nichts dem Zufall, um den Job zu bekommen: Er bestach diverse Politiker und Beamte, die mit der Sache befasst waren, mit mehreren hunderttausend Dollar. Die Namen und Summen speicherte er auf Floppy Disks. Der hochrangigste Name auf diesen Disketten war der Mann, der am letzten Schalthebel saß: Budd Dwyer, der Top-Buchhalter des Staates. Notierte Bestechungssumme: 300.000 Dollar.

Der Republikaner galt bis dahin als höchst integer. Er war 1964 als jüngstes Mitglied ins Parlament von Pennsylvania eingezogen, 1970 in den Senat aufgestiegen und zehn Jahre später zum Schatzmeister gewählt worden.

So viel stimmt: Dwyer vergab den Auftrag an CTA. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, dass er das Geld je angenommen hat - oder dass es ihm überhaupt angeboten wurde. Stattdessen entschied Dwyer völlig legal auf Empfehlung seiner Berater: CTA war die billigste Option von allen. Auch ohne Bestechungsgeld.

Dwyer unterzeichnete den fünfseitigen Vertrag am 10. Mai 1984. Er sollte ihn sein Leben kosten. Denn Torquato hatte zuvor unter anderem auch William Smith bestochen, den Bezirkschef der Republikaner, und ihn beauftragt, Dwyer bei einem Vieraugentermin seinerseits 300.000 Dollar anzubieten. Den Termin gab es, doch was dabei geschah, ist unklar. Dass es keine Zeugen gab, war Dwyers Verhängnis.

Ein Freund wird vom Unterstützer zum Verräter

Aufgrund eines anonymen Memos an Gouverneur Dick Thornburgh nahm das FBI Ermittlungen auf. Die mündeten in mehreren Anklagen und Prozessen. Als Smith vor Gericht stand, entlastete er Dwyer ausdrücklich. Dieser habe von Torquatos Bestechungsversuch nichts gewusst. Er wurde trotzdem schuldig gesprochen, im Verbund mit Torquato und einigen anderen.

Dwyer landete als Letzter vor Gericht. Diesmal sagte Smith als Zeuge aus - und belastete den einstigen Freund unerwartet: Er habe ihm die 300.000 Dollar sehr wohl ausgehändigt. Wie sich erst viel später herausstellte, hatte die Staatsanwaltschaft ihn zu dieser Aussage erpresst, mit der Drohung, sonst auch seine Frau anzuklagen. Im Gegenzug bekam Smith erhebliche Strafmilderung zugesichert - zu Lasten Dwyers, der seine Unschuld beteuerte.

Der Prozess war eine Farce. Entlastendes Beweismaterial wurde den Geschworenen unterschlagen. Staatsanwalt James West und Richter Malcolm Muir, beide als Hardliner berüchtigt, wollten ein Exempel statuieren - an dem einzigen Mann in dem korrupten Sumpf, der sich nicht hatte korrumpieren lassen.

"Die Zeit verstrich noch nie so langsam", schrieb Dwyer gegen Ende des Prozesses, am 17. Dezember 1986, in sein Tagebuch - und fügte flehentlich hinzu. "Bitte, lieber Gott, lass mich bald freigesprochen werden... bitte." Am folgenden Abend kam das Urteil: schuldig.

Blut, Blut, Blut

Richter Muir setzte die Verkündung des Strafmaßes auf den 23. Januar 1987 an. Dem damals 47-jährigen Dwyer drohten 55 Jahre Gefängnis - im Prinzip also lebenslänglich. In einem letzten Versuch schickte Dwyer sogar ein handschriftliches Gnadengesuch an Ronald Reagan. Doch der Präsident lehnte ab.

Dwyer verbrachte ein letztes Weihnachten mit seiner Frau Joanne, seiner Tochter Dyane und seinem Sohn Rob. Am 22. Januar, dem Tag vor der Verkündung des Strafmaßes, berief er eine Pressekonferenz ein. Die Reporter gingen davon aus, dass er seinen Rücktritt als Finanzchef verkünden würde, eine Formalität.

Doch schon seine ersten Worte ließen Düsteres ahnen. Zu Beginn dankte Dwyer "dem guten Herrn" für 47 Lebensjahre und für "die beste Ehefrau und Kinder, die sich ein Mann wünschen könnte". Er sei unschuldig, würde politisch verfolgt, als Sündenbock und Abschreckung. Man möge für seine Familie beten. Er werde "im Amt sterben", mit dem Ziel, die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Dann holte er den Revolver hervor.

Auf den Videos erscheint Dwyer fieberhaft und gelassen zugleich, fast wie in Trance. Er hält die Waffe in der Rechten, die Mündung senkrecht nach oben gerichtet, den Zeigefinger am Abzug. Im Hintergrund ist hektisches Rufen zu hören. Dwyer reißt den Mund auf, schließt die Augen, umfasst den Revolver mit beiden Händen und reißt ihn ruckartig hoch.

Es sind nur Sekundenbruchteile. Tödlich getroffen fällt Dwyer zu Boden, bleibt in halber Sitzhaltung liegen. Aus seiner Nase strömt das Blut wie ein Wasserfall, ebenso aus seinem zerschmetterten Hinterkopf, wo die Kugel austrat. Der Körper zuckt noch leicht, sinkt in sich zusammen. Seine Augen sind geöffnet.

"Wegen mir ist er tot"

Der entsetzliche Moment löste eine heftige Debatte aus. Allerdings nicht um Schuld und Unschuld in dem Bestechungsfall - sondern um reale Gewalt im Live-Fernsehen.

Die meisten anderen Angeklagten kamen glimpflich davon. Einige kehrten in die Politik zurück. Gouverneur Thornburgh wurde 1989 von Reagan zum US-Justizminister berufen. Nur Staatsanwalt Wests Karriere erlitt einen Knick, nachdem herausgekommen war, dass er die Aussagen der Zeugen manipuliert hatte.

Ende 2010 enthüllte der Dokumentarfilm "Honest Man" von James Dirschberger erstmals die vollen Hintergründe des Falls - und die Unschuld Dwyers. In dem Film gestand der Hauptbelastungszeuge William Smith, dass er unter Eid gelogen habe, um sich Strafmilderung zu erkaufen, ohne Rücksicht auf Dwyers Schicksal: "Wegen mir ist er tot."

Da Dwyer im Amt starb, bekam seine Ehefrau Joanne seine Lebensversicherung und Pension ausgezahlt, insgesamt fast 1,3 Millionen Dollar - was er mit seinem Freitod wahrscheinlich auch so beabsichtigt hatte. Sie zog nach Arizona, starb 2009 im Alter von 70 und wurde neben ihrem Mann in Pennsylvania begraben.

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